Herausforderungen für die Baubranche 2024
Zeiten der Krise sind oft solche des Wandels. Jede neue Herausforderung ist ein Anlass zur Transformation. In einem Zeitalter der Umbrüche ist daher die höchste Tugend: Veränderungsbereitschaft. Das gilt auch für die Baubranche. Schauen wir uns an, was uns im kommenden Jahr 2024 an Herausforderungen erwartet.
Neues Jahr – neues … ja, was denn?
Rezession. Fachkräftemangel. Material- und Lieferprobleme. Massiver Rückstand im Wohnungsbau. Großinsolvenzen …
2023 war ein turbulentes Jahr für die Welt im Allgemeinen und für die Baubranche im Besonderen. Und zum Abschluss verwandelte sich das kommende Jahr 2024 mit einem Schlag auch noch in eine echte Wundertüte. Denn wer versuchte, in den Blick zu nehmen, was genau uns erwartet, dem versperrte plötzlich ein großer, träger Elefant die Sicht. Als seien die Herausforderungen für die Baubranche nicht schon groß genug, starrte erst mal alles auf den geplatzten Haushalt. Die bange Frage: Wie geht es weiter? Welche Investitionen sind überhaupt noch sicher? Eine Recherche von T-Online belegte, dass vor allem das Bauministerium von dem Paukenschlag aus Karlsruhe bedroht war. Im Hause von Klara Geywitz waren gleich mehrere große Positionen in Gefahr: „1,1 Milliarden Euro für den klimafreundlichen Neubau (KFN) und die Wohneigentumsfinanzierung für Familien (WEF), 500 Millionen Euro für die kommunale Wärmeplanung, 150 Millionen Euro für das Projekt „Altersgerecht Umbauen“ sowie 70 Millionen Euro für die energetische Stadtsanierung.“i
Da stehen wir also am Anfang des neuen Jahres und der Urknall aus dem Sitzungssaal des Verfassungsgerichts fiept uns noch in den Ohren. Immerhin, inzwischen wurde ein Kompromiss gefunden, aber der Blick ist noch immer nicht wirklich frei.
Auf Anfrage, welche Posten denn nun nach der Einigung von etwaigen Einschnitten betroffen seien, teilt das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen am 15.12.2023 mit: „Wir müssen leider um Verständnis dafür bitten, dass wir noch nicht detailliert zu allen Förderungen und Programmen Stellung nehmen können. Dafür müssen erst die Beratungen zum Haushalt 2024 im Deutschen Bundestag und die abschließende Verabschiedung abgewartet werden.“
Und hier zeigt sich uns gleich eine der vielleicht größten Herausforderungen für die Baubranche 2024: Geduld. Das gilt nicht nur für den großen, trägen Elefanten in Berlin, sondern damit einhergehend vor allem auch für das Sorgenkind der Branche: den Wohnungsbau.
Immer dieselbe alte Leier: der Wohnungsbau
Schon als beim Wohnungsgipfel im September das 14-Maßnahmen Paket vorgestellt wurde, das den Bau neuer Wohnungen beispielsweise durch bessere Förderungen, niedrigere Baustandards und Steuervorteile erheblich erleichtern soll, sagte der Präsident des Zentralverbandes Deutsches Baugewerbe, Wolfgang Schubert-Raab, das Paket sei ein guter Anfang, aber bis zum Ende des Jahres müssten Taten folgen.ii Außer dem Haushaltsdebakel ist seitdem allerdings nicht viel passiert. Die Probleme des Wohnungsbaus jedenfalls wurden nicht kleiner. Im Gegenteil.
Der Zentralverband Deutsches Baugewerbe rechnet für 2023 mit 271.000 fertiggestellten Wohneinheiten. Für 2024 sieht die Prognose einen weiteren Abwärtstrend. Nach derzeitigen Investitionsbedingungen werden dann nur noch 235.000 Wohneinheiten fertiggestellt. Das ist weit entfernt von den von der Ampel angepeilten und auch erforderlichen 400.000 pro Jahr. Schubert-Raabe: „Es muss etwas getan werden, und zwar jetzt! Wir brauchen die komplette schnelle Umsetzung des 14- Maßnahmen-Paketes und ein Zinsstützungsprogramm beim EH-55-Standard.“iii
Aber eine rein politische Lösung wird nicht reichen. Es braucht auch technologische Innovationen. Wir müssen die Baubranche, speziell den Wohnungsbau radikal neu denken. Stichwort: Serieller und modularer Wohnungsbau.
„Ein Bauarbeiter der 1991 noch ein komplettes Haus gebaut hat, schafft dies heute in der gleichen Zeit nicht mehr. Ein VW-Mitarbeiter, der 1991 einen Golf gebaut hat, schafft heute in der gleichen Zeit fast zwei. Oder anders: Die Produktivität je Arbeitsstunde ist in den letzten 30 Jahren am Bau faktisch gesunken, während sie sich in der produzierenden Industrie fast verdoppelt hat.“iv
Beim seriellen, modularen Wohnungsbau werden entscheidende Arbeitsschritte von der Baustelle weg in die industrielle Produktion in der Fabrik verlagert. Selbst große Mehrfamilienhäuser mit 50 und mehr Wohneinheiten lassen sich so in kürzester Zeit und mit geringer Manpower nach dem Prinzip einer Ikea-Bauanleitung fertigstellen. Dass die Weiterentwicklung und Implementierung dieses Vorgehens große Chancen bietet, nicht nur für die Gesellschaft und die Politik, sondern auch und vor allem für die an der Wertschöpfung beteiligten Unternehmen, liegt auf der Hand. Vorreiter dieses Verfahrens in Deutschland sind unter anderen unsere Kunden NOKERA und Goldbeck, die nicht nur auf diesem Gebiet Herausragendes leisten und mit ihren Visionen inspirierend auf die Branche wirken.
Das Thema serieller und modularer Wohnungsbau führt uns direkt an die Schnittstelle zu einer weiteren großen Herausforderung für die Baubranche im kommenden Jahr. Wir beziehen uns auf einen echten Evergreen und unseren eigenen, ganz persönlichen Endgegner: den Fachkräftemangel.
Paradoxe Situation: Eine Branche zwischen Fachkräftemangel und Kurzarbeit
Um gleich ein großes Missverständnis aufzuklären, das uns immer wieder begegnet: Wir Personalberater können den Fachkräftemangel nicht lösen, wir können ihn managen, also Wege finden, konstruktiv damit umzugehen. Für die Baubranche eröffnen sich in dieser Hinsicht im neuen Jahr gewisse Chancen, die allerdings mit einer paradoxen Situation einhergehen. Denn einerseits werden weiterhin händeringend Fachkräfte gesucht, andererseits sorgt die schlechte Auftragslage und der damit einhergehende Rückgang der Baukonjunktur für drohende Kündigungen und Kurzarbeit.
Für letzteres sorgt vor allem die mangelnde Nachfrage beim Wohnungsbau. Das führt dazu, dass laut Zentralverband Deutsches Baugewerbe für die Gesamtbranche im kommenden Jahr mit einem Stellenabbau von um die 30.000 Beschäftigten gerechnet wird.
Des einen Leid ist des anderen Freud. Von dem Konjunktureinbruch sind die Teilbranchen in unterschiedlichem Maße betroffen. Während der Wohnungsbau ein massives Minus macht, verzeichnen der Wirtschaftstiefbau (Stichwort: Mobilitäts- und Energiewende) sowie der öffentliche Hochbau leichte Konjunkturanstiege. Hier könnte es lohnend sein, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und verstärkt über die Möglichkeit von Quereinstiegen nachzudenken. Unter den voraussichtlich 30.000 abgebauten Arbeitnehmern werden einige sein, die hochqualifiziert, aber in ihrem Bereich gerade nicht gefragt sind. Diese gilt es unter Umständen, anderweitig zu fördern und zu integrieren.
Daneben sollten Bauunternehmen aber vor allen Dingen nicht aufhören auszubilden. Auch wenn die Konjunktur 2024 weiter schwächelt, die Baubedarfe bestehen und der demografische Wandel macht keinen Halt vor periodisch sinkenden Umsätzen. Dafür braucht man nicht nur die bereits eingangs als Herausforderung benannte Geduld, sondern auch gute Nerven.
Um an dieser Stelle etwas Mut zu machen, sei Jan-Hendrik Goldbeck zitiert, der im Dezember in der Talkshow von Markus Lanz folgendes gesagt hat: „Die gute Nachricht ist, wir sind jetzt – und das ist eine unumstößliche Wahrheit – zwei Jahre näher dran am nächsten Aufschwung als vor zwei Jahren.“v
Natürlich muss dazu gesagt werden: Mehr Fachkräfte wird uns der kommende Aufschwung nicht automatisch bescheren. Muss er aber auch nicht unbedingt.
Digitalisiere sich, wer kann!
Wie schon angemerkt, lässt sich der Fachkräftemangel nicht einfach aufhalten, aber managen. Dabei kann der Fokus nicht allein darauf liegen, woher man mehr Fachkräfte bekommt, sondern auch, wie man weniger davon braucht. Das Stichwort modularer, serieller Wohnungsbau ist schon gefallen. Hier werden gewisse Fertigungsschritte, die zuvor auf den Baustellen von Menschen ausgeführt werden mussten, in die Fabrik und auf Maschinen umgelagert. Das ist ein Beispiel, wie dringend benötigte Arbeitskräfte eingespart werden können. Die Digitalisierung bietet in dieser Hinsicht großes Potenzial.
“Durch eine gezielte Digitalisierung ließen sich etwa 30 Prozent an Planungskapazitäten einsparen – sprich, weniger Arbeitskräfte können in kürzerer Zeit mehr schaffen. Wer im Wettbewerb bestehen will, muss sein Unternehmen somit digitaler aufstellen! Dank der Digitalisierung kann nicht nur schneller gebaut werden, sondern auch mit weniger Mängeln. Außerdem bietet sie die Lösung für eines der größten Probleme der Baubranche: den Fachkräftemangel.”vi
Oft geht das Schreckgespenst um, die zunehmende Technisierung würde den Menschen die Arbeitsplätze wegnehmen. Wir wollen die Thematik mal unter umgekehrten Vorzeichen sehen und sagen: gut so, mehr davon!
Bauunternehmen, die ihrer Zeit voraus sind, werden 2024 ihre Bemühungen zur Implementierung von KI in sämtliche Arbeitsabläufe verstärkt vorantreiben – von der Materialanalyse, über das Design, das Recycling bis hin zum Projektmanagement.
“Ein zentraler Bereich, in dem Künstliche Intelligenz ihre volle Kraft entfaltet, ist die Verwaltung von Dokumenten und die Einhaltung von Qualitätsstandards. Traditionell war dies eine zeitaufwändige und fehleranfällige Aufgabe. Durch den Einsatz von KI können Bauprojekte von der automatischen Identifizierung und Organisation von Dokumenten bis zur Überwachung von Qualitätsstandards in Echtzeit profitieren. Dies dient nicht nur der Beschleunigung der Prozesse, sondern minimiert auch das Risiko von Fehlern.”vii
Das Implementieren von KI macht demnach effizienter, spart Kosten und Arbeitskräfte und führt zu mehr Nachhaltigkeit.
Apropos, diese Vorzüge bringt die zunehmende Digitalisierung im Allgemeinen mit sich. Vorbei die Zeiten ausgedruckter Baupläne, des Bürozwangs, der analogen Bauüberwachung. Das Motto für die Baubranche 2024 sollte lauten: Digitalisiere sich, wer kann!
Veränderungsbereitschaft versetzt uns in die Lage, nicht getrieben zu werden, sondern zu gestalten.
Stellt sich nur noch die Frage: Sind Sie bereit?
Der Autor
Florian begann seine berufliche Reise im Handwerk und kehrte schließlich schreibend dahin zurück. Nach einer Ausbildung zum Systemelektroniker bei der Deutschen Telekom AG arbeitete er als freier Mitarbeiter der Rhein-Zeitung und studierte Philosophie und Germanistik in Trier und Valencia. Bereits während des Studiums begann er mit dem Abfassen literarischer Texte. Nach dem Masterabschluss zog es ihn nach Berlin, wo er zunächst als Sozialbetreuer in einer Flüchtlingsunterkunft und als Grundschullehrer tätig war. Es folgte eine Zeit als freier Autor und Lektor, u.a. für Spiegel-Online, Tagesspiegel, KaDeWe und das Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung. Seit Anfang 2023 ist er Redakteur und Qualitätsmanager bei der Riverstate Personalberatung.
FLORIAN KUGEL
Redakteur und Qualitätsmanager