Digital Culture Fitness - Menschen als Schlüssel erfolgreicher Digitalisierung

Menschen als Schlüssel erfolgreicher Digitalisierung

“Digitalisierung ist in Medien, auf Unternehmerforen und in Strategiepapieren omnipräsent.”Dr. Anette Fintz

Fluktuation erhöht Fehlerquote

Zukunftsentwürfe schwanken zwischen selbstfahrenden Autos, Werkhallen mit einer Hand voll Arbeitender, Briefe von KI hin und her geschrieben auf der einen Seite; auf der anderen Seite Bilder von Überwachungsszenarien, Verlust der Freiheit, Entmenschlichung der Lebenswelt. Keine der großen Tageszeitungen lässt auch nur einen Tag ohne irgendeinen Artikel über Digitalisierung oder KI vergehen. Kurz: Digitalisierung ist in Medien, auf Unternehmerforen und in Strategiepapieren omnipräsent.

ChatGPT als Erkenntnis-Katalysator

Spätestens mit Chat GPT wurde schließlich allen bewusst, welch tiefgreifende Veränderungen anstehen. Mancher kann es kaum glauben, wie eine KI in Kürze qualitativ gute Ergebnisse liefert, und dabei auch noch persönlich und freundlich wirkt. Seit ChatGPT löst das Wort Digitalisierung einen starken Gefühlscocktail aus, dessen Zutaten zu unterschiedlichen Anteilen aus Faszination, Hoffnung, Begeisterung, Furcht und Ohnmacht bestehen. Plötzlich wird überdeutlich, dass es um viel mehr geht als um weitere Automatisierung und Effizienzsteigerung. Digitalisierung wird die gesamte Arbeitswelt erfassen und umkrempeln. Wenn man so will, hat ChatGPT den Schleier gelüftet und nicht jedem und jeder gefällt, was da zu sehen ist. So weit, so bekannt.

Weshalb jetzt noch ein Text über Digitalisierung?

“Seit ChatGPT löst das Wort Digitalisierung einen starken Gefühlscocktail aus, dessen Zutaten zu unterschiedlichen Anteilen aus Faszination, Hoffnung, Begeisterung, Furcht und Ohnmacht bestehen.”Dr. Anette Fintz

Noch ein Text über Digitalisierung?

Wenn das alles so bekannt ist, woran hängt es dann, dass laut jüngstem Digitalindex der Deutschen Wirtschaft die Umsetzung von Digitalisierungsmaßnahmen eher rückläufig sind? An der Baubranche kann es nicht liegen, denn ausgerechnet die gehört zu den wenigen löblichen Ausnahmen!

Erstaunlich ist jedoch, dass fast immer der wichtigste „Faktor“ vergessen wird: die Menschen. Im ersten Teil meines Blogs über Digitalisierung habe ich erzählt, wie der erste Schub in den 1980er/90er Jahren verlaufen ist. Vor allem habe ich herausgestellt, wie viel Verschwendung es dadurch gab, weil man – begeistert von den neuen Möglichkeiten – die Anwender nicht einbezogen hat. Eines kann deshalb jetzt schon festgehalten werden: ohne eine vorbereitete Unternehmens-Kultur, wird jede Digitalisierungsmaßnahme, wenn nicht gar scheitern, dann unbotmäßig teuer. Und zwar absehbar und unnötigerweise.

Die Rede ist also auch im zweiten Teil des Blogs nicht von Digitalisierung als solcher, vielmehr von der Möglichkeit der effizienten und effektiven Umsetzung.

Wie der Hase läuft sagt nicht, wohin er läuft

Ausgerechnet bei Digitalisierung, die gerade bei der Menge der Anwender so viel Verunsicherung auslöst, konzentrieren sich Führungspersonen hauptsächlich auf das Material (spezifische Hard- und Software), sowie Anwendungs-Schulungen. Dabei glich bislang schon die Einführung eines neuen ERP-Systems in Unternehmen einer gefährlichen Gipfelbesteigung. Mit KI wird das nicht besser. Im Gegenteil, verstehen immer noch weniger Menschen die Details, die zur Anwendung kommen. Angesichts der anwachsenden Komplexität entsteht so eine scheinbare Elite, die weiß, wie der Hase läuft.
Nur: wer bestimmt, wohin der Hase läuft?

Das nämlich können und dürfen (!) nicht die IT-Fachleute entscheiden – das ist eine Frage der Führung. Experten zeichnen sich darin aus, fachlich zu bewerten, was möglich ist oder was mit welcher Wahrscheinlichkeit eintritt. Sie sind jedoch nicht dazu da zu wissen, was in der Umsetzung Sinn-voll und für die beteiligten Menschen der gangbare Weg ist.

Das herauszufinden, darum geht es bei Digital Culture Fitness.

Digital Culture Fitness

Die Digitalisierung gibt jedem Unternehmen die Möglichkeit, sich angesichts der Möglichkeitenvielfalt und Komplexität neu auf die Frage zu besinnen, was sein Kern und Ziel, was der eigentliche Sinn ist.

Sie fragen sich vielleicht jetzt: Sinn und Digitalisierung?? – In den nächsten Zeilen zeige ich auf, wie ursächlich genau die Sinn-Antwort und das Bewusstsein von Vision und Mission auf Digitalisierungsmaßnahmen wirkt. Am besten erzähle ich das am Beispiel eines Unternehmens, das sicher nicht verdächtig ist, schnell abzuheben.

PRAXISBEISPIEL

Wie in einem Handwerksbetrieb die Einführung von Digitalisierung durch die bewusste Sinn-Orientierung gelingen kann, lässt sich sehr gut an folgendem Beispiel zeigen. Es handelt sich um ein Unternehmen im südwestdeutschen Raum, das heute in vierter Generation geführt wird und sechzig Mitarbeitende hat.

Der Betrieb für Heizung und Sanitär wurde 1927 gegründet. Der Gründer hatte vor knapp hundert Jahren klar formuliert, dass es bei seiner Dienstleistung darum geht, Menschen ein behagliches zu Hause zu ermöglichen. Anfangs bot man also an, überhaupt Waschgelegenheiten mit warmem Wasser in Wohnungen und Häusern einzubauen, später wurden Kupfer-Bettflaschen repariert, bevor im Wirtschaftsaufschwung moderne Bäder und Heizungen entworfen und eingebaut wurden.
Heute kommt der Fachmann mit iPad und Servicewagen zum häufig auch online vereinbarten Termin ins Haus. Der Techniker kann von dort aus das digitalisierte Lager nach Ersatzteilen abfragen und sich mit weiteren Spezialisten des Betriebs einfach vernetzen, auch wenn diese selbst bei Kunden sind.
Kund:innen finden es richtig gut, wie einfach es ist, mit Handwerkern zu arbeiten.

Bis zur heute vierten Generation haben sich die Geschäftsführer und ihr Team an den Sinn des Unternehmens erinnert. Immer ging und geht es darum, dass sich Menschen in ihrem zu Hause oder an ihrem Arbeitsplatz wirklich wohl fühlen können – zumindest was das Raumklima betrifft. Entsprechend kümmerte sich die jeweilige Geschäftsführung immer sehr gut um „ihre“ Handwerker und Mitarbeiter:innen im indirekten Bereich. Kurz gesagt: die Unternehmensfitness wurde immer gehalten.

Dennoch wurde die geplante Digitalisierung des Lagers zunächst heftig diskutiert. Schließlich war das Lager mit viel Grips und Erfahrung aufgebaut und viele der mittlerweile sechzig Mitarbeiter fanden das Material praktisch blind. Unter dem Sinn-Aspekt wurde klar, dass ein digitalisiertes Lager zusammen mit weiteren Digitalisierungsmaßnahmen wie der weiteren Vernetzung dem Kundenwohl dient. Die Vernetzung dient nicht der Kontrolle, ob der Handwerker gerade beim Bäcker ein Leberkäsweckle isst (das darf er nämlich gerne tun), sondern dem Check, ob ein Kollege dem anderen gerade vor Ort mit seiner Expertise oder seinem Material „an Bord“ beispringen kann.

Beim Besuch des Unternehmens begegnen mir junge und erfahrene Mitarbeiter. Alle ziehen bei der sich ständig erweiternden Digitalisierung des Unternehmens mit.
Die gemeinsame Orientierung am Sinn, gegenseitiges Vertrauen und die Lust daran, Kunden zu begeistern. Diese „Zutaten“ gehören ganz wesentlich zum Erfolgsrezept.

Was sicherlich auch unterstützend wirkt, ist die fachliche Auseinandersetzung mit IT. Und tatsächlich: ohne sich wenigstens einigermaßen mit den technischen Hintergründen und der Bedeutung von Vernetzung und KI zu beschäftigen, wird man sich in Unternehmen in Zukunft schwertun. Aber Bilanzenlesen ist auch nicht jedermanns Lieblingsbetätigung und trotzdem muss eine Führungsperson sich damit beschäftigen.
Es gibt viele Betriebe, deren Mitarbeitende lieber alles beim Alten lassen würden. Veränderung ist immer anstrengend und nicht jeder nimmt sie als Triebfeder. Dennoch funktioniert Digitalisierung hervorragend selbst in einem Handwerksbetrieb, also einer Branche, die nicht gerade verdächtig ist, IT-affine Mitarbeitende zu beschäftigen.

Kündigungen gab es in den letzten Jahren in diesem Handwerksbetrieb bislang keine, Bewerbungen viele.

Fazit

Seit einigen Jahren erhebe ich bei Unternehmen die sogenannte Digital Culture Fitness. Ich analysiere also, inwiefern das Unternehmen einen fruchtbaren Boden bei den Mitarbeitenden hat, um Digitalisierung erfolgreich einzuführen. Was dabei stark auffällt, ist die Unabhängigkeit von der Branche. In einem Maschinenbauunternehmen ist nach meiner Erfahrung der Zugang zu wirklicher Digitalisierung eben nicht automatisch leichter als in einer Großbuchhandlung.

 

Mein Fazit:

  1. Die erfolgreiche Einführung und Anwendung von Digitalisierung ist für viele Menschen in Unternehmen mit Angst, Unwissenheit und Ablehnung verbunden.
  2. In Unternehmen gibt es zunehmend eine kleine Gruppe, die sich fachlich auskennt, und die anderen, die der Digitalisierung skeptisch gegenüberstehen.
  3. Digitalisierung funktioniert dort reibungslos, wo Menschen Vertrauen in die Führungspersonen haben und den Sinn des Unternehmens kennen, also auch Sinn darin sehen, sich selbst zu verändern.
  4. Entscheidungen, wo in welcher Reihenfolge digitalisiert wird, werden am besten daran ausgerichtet, was dem Sinn des Unternehmens am besten dient.
  5. Digitalisierung wird ein wesentlicher Erfolgsfaktor in den nächsten Jahrzehnten darstellen. Führungspersonen sollten sich unabhängig von ihrer eigentlichen Aufgabe mit IT, KI und ethischen Zusammenhängen beschäftigen.

Was wäre, wenn …

Was wäre also, wenn Sie sich zunächst auf die kulturelle Fitness Ihres Unternehmens konzentrieren würden, statt immer neue Finessen der irgendwie möglichen Digitalisierung zu erwägen? Mit einem sogenannten Digital-Culture-SWOT kann Ihre Fitness gut gemessen werden.
Was wäre, wenn Sie die Digitalisierung am Sinn Ihres Unternehmens ausrichteten?
Wie wäre es, wenn die persönliche Qualität eines Mitarbeitenden denselben Stellenwert bekäme wie seine fachliche?
Wie sähe es aus, wenn die Mitarbeitenden mit Vertrauen und Neugier auf große Veränderungen reagieren würden?

DANN – so kann ich garantieren – ist die Digitalisierung besser vorbereitet als mit jedem weiteren Strategiemeeting zur Einführung. Vertrauen und Selbstvertrauen sind mächtiger als tausend vernünftig vorgetragene Argumente.

Arbeiten wir also am Erfolg. Begegnen wir den Sorgen der Menschen mit Respekt, entzaubern wir die Digital-Macht, indem wir über sie lernen und gehen wir planmäßig daran, sie entlang dem Sinn der Unternehmen einzusetzen. Das kann nur auf dem Boden einer guten Unternehmenskultur wachsen.

Arbeiten wir also mit den Menschen!

Die Autorin #Gastbeitrag

Kunden charakterisieren Anette als „kompetent, ernsthaft, analytisch – kreativ, offen, pragmatisch“. Fokus der in Philosophie promovierten Coach ist die Verbindung von Wissen und Erfahrung mit gezielter Umsetzung für die Zukunft.  

Damit das gelingt, gründete sie 1998 das Institut für Sinn-orientierte Beratung ISOB (www.isob.de). Von Radolfzell und Zürich aus coacht Anette, hält Vorträge und schreibt seit 2006 Fachbücher und Einzelbeiträge zu den Themen Führung, Transformation, Digitalisierung und Kommunikation. Ihre Auftraggeber sind mehrheitlich Führungspersonen technikgetriebener Unternehmen (D/A/CH). Weiterbildungen nach dem Studium: Coach der Wirtschaft, Logotherapeutin, CAS Digital Ethik, Struktogramm, LEGO® Serious Play Facilitator. 

DR. ANETTE FINTZ
Führungs- und Transformations-Begleiterin