Krise als Chance

Die Komfortzone – ein Grab für Innovationen

„Digitalisierung ist in Medien, auf Unternehmerforen und in Strategiepapieren omnipräsent.“Dr. Anette Fintz

Fluktuation erhöht Fehlerquote

Not macht erfinderisch. Was klingt wie eine Binse, birgt doch eine profunde Wahrheit. Das Gesetz der Trägheit ist nicht allein eine physikalische Tatsache, es betrifft uns als Individuen ebenso wie Organisationen und Strukturen. Veränderungen und Innovationen brauchen oft lange Zeit, bis sie sich gegen etablierte Praktiken durchsetzen können. Es sei denn, eruptive Ereignisse machen schnelles Handeln nötig. Krisen bieten die Chance, Dinge neu zu denken. Sie zwingen uns zur Veränderung. Oft sehen wir, dass Etwas nicht richtig läuft oder besser laufen könnte, aber wir sind so bequem oder mit anderem beschäftigt, dass wir es nicht angehen. Und zwar häufig so lange, bis es gar nicht mehr anders geht.

Wie gut, dass wir in einem regelrechten Zeitalter der Krisen leben: Wirtschaftskrise, Ukrainekrise, Klimakrise, Wohnungskrise … Chancen, wohin man blickt.

Zynismus beiseite. Wir wollen uns diese Perspektive mal zu eigen machen und uns anschauen, wie viel Chance in einer Krise liegen kann, speziell für Branchen und Unternehmen.

Von Teebeuteln und Vulkanausbrüchen

Fangen wir beim Elementaren an. Stellen wir uns für den Anfang eine der wohl zerstörerischsten Krisen innerhalb eines Ökosystems vor. Etwa einen Waldbrand oder noch apokalyptischer – einen Vulkanausbruch. Selbst solche Katastrophen tragen nicht nur das Element der Zerstörung in sich, sondern können geradezu Katalysatoren für eine erhöhte Fruchtbarkeit der verwüsteten Natur darstellen. So enthält Vulkanasche verschiedene Mineralien und Nährstoffe, wie Stickstoff, Phosphor oder Kalium, die durch Verwitterung freigesetzt werden, das Pflanzenwachstum fördern und den Boden langfristig bereichern. Auch hier beseitigt die Krise also das Bestehende und schafft Platz und Potenzial für Neues.

Auch, wenn man in die jüngere Geschichte blickt, lassen sich Beispiele finden.

Im Laufe des 1. Weltkriegs verpackte die Firma Teekanne zur Versorgung der Soldaten aus der Not heraus Tee in kleine Säckchen aus Mull. Diese “Teebomben”, wie sie unter den Soldaten genannt wurden, waren frühe Vorläufer des Teebeutels.i Selbst der 2. Weltkrieg, unbestritten eine der größten Krisen des 20. Jahrhunderts, brachte nicht nur Leid und Zerstörung, sondern verpasste der Menschheit auch einen massiven Entwicklungsschub. Die Menschen gingen mit Pferdefuhrwerken und Propellerflugzeugen hinein und kamen mit Düsenjägern und den Raketen wieder heraus, die sie nur zwei Jahrzehnte später auf den Mond trugen. Aber auch abseits von technologischen Entwicklungen gab es Verbesserungen:

Neben der Gründung des Roten Kreuzes war das Grauen des Krieges der Hauptgrund für die Erklärung und Etablierung der allgemeinen Menschenrechte.

„Seit ChatGPT löst das Wort Digitalisierung einen starken Gefühlscocktail aus, dessen Zutaten zu unterschiedlichen Anteilen aus Faszination, Hoffnung, Begeisterung, Furcht und Ohnmacht bestehen.“Dr. Anette Fintz

Kreativer Umgang mit der Corona-Pandemie

Okay, schalten wir einen Gang runter auf etwas weniger Verheerendes. Wenden wir uns der Wirtschaft zu und nehmen wir ein naheliegenderes Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit. 2020. Corona-Krise. Viele Unternehmen standen binnen kürzester Zeit vor gewaltigen Herausforderungen, wenn nicht gar dem Aus. Doch selbst in dieser Zeit gab es Gewinner, angefangen bei Flink und aufgehört bei BioNTech.

An dieser sozialen und wirtschaftlichen Eruption lassen sich beispielhaft mindestens zwei Arten von “Gewinnern” der Krise herausarbeiten: Nämlich solche Unternehmen, die durch die Krise erst wirklich an Bedeutung gewannen, wie beispielsweise Lebensmittellieferdienste wie Gorillas oder Hello Fresh oder Streamingdienste und Kommunikationsplattformen wie Netflix und Zoom, und solche Unternehmen, die sich durch die Krise vor Herausforderungen gestellt, gewissermaßen neu erfanden und dadurch überlebten oder teilweise sogar gestärkt aus der turbulenten Zeit hervorgingen. Populär ist das Beispiel des badischen Unternehmens BüBa, einer Firma, die sich auf die ganzheitliche Reinigung (nicht esoterisch gemeint) von Büroräumen spezialisiert hatte. Dann kam Corona, das Homeoffice, ein massiver Auftragseinbruch – viele waren im Homeoffice, ganze Großraumbüros verwaist. BüBa machte aus der Not eine Tugend: Wer, wenn nicht eine Reinigungsfirma, hat Plan von Desinfektionsmitteln. In einer regelrechten Kamikazeaktion wurden von einer großen Möbelkette massenhaft Pumpspender besorgt, dazu Handschuhe, Gesichtsmasken etc. Gleich mehreren Bedürfnissen, die die Krise hervorgerufen hatte, war damit Genüge getan. Das Geschäft boomte.ii

Ein anderes Beispiel für ein Unternehmen, das kreativ mit der Krise umging, ist Flyla. Die Plattform vermittelte ursprünglich ermäßigte Flüge mit kompensierten CO2-Emissionen an Studierende. Da dieses Geschäft durch Corona zeitweise beinahe zum Erliegen kam, wurde man erfinderisch, gründete die Plattform “Clever Ackern”, schloss sich mit “Das Land hilft” zusammen, einer Matching-Plattform für Erntehelfer und Landwirte, und verlegte sich kurzerhand auf das Vermitteln von Erntehelfern. Wir erinnern uns, die waren eine Zeitlang sehr gefragt.iii

„Seit ChatGPT löst das Wort Digitalisierung einen starken Gefühlscocktail aus, dessen Zutaten zu unterschiedlichen Anteilen aus Faszination, Hoffnung, Begeisterung, Furcht und Ohnmacht bestehen.“Dr. Anette Fintz

Tendenzen und Potenziale für die Baubranche

Blicken wir aufs Heute, sehen wir unter all den vielen Krisen, die eine Krise, die eine unserer wichtigsten Branchen bedroht, gewissermaßen das Fundament unserer Wirtschaft: den Bau … – Moment, habe ich “eine” Krise geschrieben? Es sind viele: Angefangen bei Materialknappheit, Klimawandel, Fachkräftemangel und Finanzierungsschwäche bis hin zu Wohnungsmangel, Überforderung im Bereich Digitalisierung und politischen Wirren. Umso besser: Viele Krisen, viele Chancen (entschuldigen Sie, das Thema ist aus gewissem Blickwinkel betrachtet eben ein bisschen zynisch). Natürlich wissen wir heute noch nicht, welche Unternehmen später als die Gewinner der multiplen Krisen in der Baubranche gelten werden, aber immerhin lassen sich Tendenzen erkennen und Chancen.

Wohnungsbau

Eine der dringendsten Herausforderungen der Branche in Deutschland ist der Wohnungsbau. Vor allem, weil wir hier ein Thema haben, dass die Grenzen der Branche verlässt und Politik und Gesellschaft gleichermaßen betrifft. Oder anders gesagt: Der soziale Frieden und damit der Zusammenhalt stehen auf dem Spiel. Es fehlen rund 700.000 bezahlbare Wohnungen. Auf konventionellem Wege ist das zum jetzigen Zeitpunkt längst nicht mehr zu bewältigen. Neue Ansätze sind gefragt. Daher hat beispielsweise unser Kunde Nokera einen “digitalisierten, seriellen Bauprozess entwickelt, mit dem wir in kürzester Zeit ressourceneffizient lebenswerten und bezahlbaren Wohnraum schaffen.” (NOKERA Homepage). So können selbst große Bauvorhaben nach der Logik einer Ikea-Bauanleitung errichtet werden, indem entscheidende Produktionsschritte standardisiert und von der Baustelle weg in die Fertigung verlegt werden. Auch andere unserer Kunden wie Goldbeck sind längst im seriellen Wohnungsbau aktiv.

Digitalisierung

Es könnte witzig sein, wenn es nicht so traurig wäre. Internet auf dem Land, das so langsam ist, dass Brieftauben eine höhere Bandbreite gewährleisten, Funklöcher so groß wie das Bermudadreieck, in denen allerdings nicht Schiffe und Flugzeuge, sondern Meetings und Telefongespräche verschwinden. Was die Digitalisierung angeht, ist Deutschland Entwicklungsland. Einiges wurde da in den vergangenen Jahrzehnten verschlafen. Stichwort: Glasfaserausbau. Eine Krise, aber auch eine große Chance. Diejenigen unserer Kunden, die Deutschland in die digitale Zukunft führen möchten, haben das natürlich längst erkannt. Das fängt bei Infrafibre an, setzt sich über Hofnetz fort, die mit ihren 5G-Campusnetzen mittlerweile auch international tätig sind, und reicht bis zu Unternehmen wie Netzkontor Nord, die sich nichts weniger zum Ziel gesetzt haben als Deutschlands größter Anbieter für die Planung und Bereitstellung von Glasfaserinfrastruktur zu werden – und auf dem besten Weg dorthin sind.

Energiewende

Die vielleicht größte Krise unserer Zeit, ist sicherlich der Klimawandel. Wie Süchtige an der Nadel hängen wir an fossilen Brennstoffen, obwohl sie den Planeten und damit uns Stück für Stück zersetzen. Angesichts dessen könnte besonders diese Krise uns im Effekt in nahezu paradiesische Zustände katapultieren. Man stelle sich vor: fossilfreie Mobilität, autofreie oder zumindest ruhige und saubere Städte, keine Abhängigkeiten von Unrechtsregimen etc. Glücklicherweise ist Entwicklung kein statischer, sondern ein dynamischer Prozess. Heißt, wir sind bereits auf dem Weg in diese bessere Zukunft. Das auch dank einiger unserer Kunden, wie beispielsweise Kintlein und Ose, die sich auf Photovoltaikanlagen spezialisiert haben.

Fachkräftemangel

Werfen wir zum Schluss noch einen Blick auf unser eigenes Metier: den Fachkräftemangel im Bau. Auch hier haben wir eine Krise, die sich prinzipiell nicht abwenden, sondern nur managen lässt. Gute Ideen sind gefragt. Ein Beispiel für den kreativen Umgang damit liefert ein echter Fachmann, wenn es um Zukunft, Innovationen und Chancen geht: Hubert Rhomberg. In Folge 11 des Wir-Podcasts spricht er über die Personalprobleme, vor die der globale Einsatz großer Baumaschinen das Unternehmen stellt. Vor allem aufgrund der Arbeitszeiten – meist wird am Wochenende und in Nachtschichten gearbeitet – ist der Job maximal unattraktiv, speziell für junge Menschen. Rhombergs Lösung ist so einfach wie genial. Und sie führt nicht nur dazu, dass anstatt der normalerweise 4 Leute nur noch 2 gebraucht werden, sondern auch, dass für diese beiden die Nachtschichten entfallen. Wie? Ganz einfach: Der Bagger, der in der australischen Nacht eine Grube aushebt, wird beispielsweise von einem 18jährigen gesteuert, der mit VR-Brille in seinem Büro in Wien sitzt – oder, wenn Sommer ist, vor seinem Lieblingscafé mit einem Eiskaffee in der Hand.iv Was nach Science-Fiction klingt, ist längst im Bereich des Möglichen. Homeoffice auf dem Bau.

Bleibt zum Abschluss eigentlich nur noch die Frage: An welcher Krise wachsen Sie?

Der Autor

Florian begann seine berufliche Reise im Handwerk und kehrte schließlich schreibend dahin zurück. Nach einer Ausbildung zum Systemelektroniker bei der Deutschen Telekom AG arbeitete er als freier Mitarbeiter der Rhein-Zeitung und studierte Philosophie und Germanistik in Trier und Valencia. Bereits während des Studiums begann er mit dem Abfassen literarischer Texte. Nach dem Masterabschluss zog es ihn nach Berlin, wo er zunächst als Sozialbetreuer in einer Flüchtlingsunterkunft und als Grundschullehrer tätig war. Es folgte eine Zeit als freier Autor und Lektor, u.a. für Spiegel-Online, Tagesspiegel, KaDeWe und das Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung. Seit Anfang 2023 ist er Redakteur und Qualitätsmanager bei der Riverstate Personalberatung.

FLORIAN KUGEL
Redakteur und Qualitätsmanager